Mitglieder haften – Drittkunden sind Nutznießer

Weshalb sollten Drittkunden ein Interesse am Beitritt haben, wenn sie erstens in ihrer Außenseiterrolle zeitlich unbefristet von der Genossenschaft geduldet werden, zweitens aus dem Leistungsverkehr mit der Genossenschaft weitgehend den gleichen Nutzen ziehen können wie ein
Mitglied, so dass ihnen die Mitgliederposition nicht attraktiv erscheint. Vor allem das Ausbleiben einer die Mitglieder bevorzugenden Geschäftspolitik, etwa durch Abgabe bestimmter Leistungen nur an Mitglieder, steht einem Verlassen der Außenseiterposition entgegen. Bisherige Nur-Kunden sehen dann keinen Sinn darin, Mitglied zu werden.[31] Zwecks Aufwertung der Mit­glied­schaft und Vermeidung einer Vernachlässigung oder gar eines Vergessens der Förderzweckbindung an die Mitglieder wäre ein Gefälle zwischen Mitglieder- und Nichtmitgliederförderung notwendig. Aus dem Mehr an Förderung, das die Mitglieder erfahren, erwächst die Attraktivität der Mitgliedschaft. Schließlich ist zu bedenken, dass die Genossenschaftsleitung durch das Drittkundengeschäft eine gewisse Unabhängigkeit von den individuellen Frequenzgraden im Mitgliedergeschäft erlangt. Dadurch kann die Mitgliederorientierung zurückdrängt und das Genossenschaftsmanagement dazu verleitet werden, Nur-Kunden am Förderpotenzial teilhaben zu lassen.
Es zeigt sich, dass die Verfremdung von Genossenschaften zu einem wesentlichen Teil in der Tendenz zur Großgenossenschaft begründet werden kann.
Mangelndes Genossenschaftsbewusstsein – oder einfach Unkenntnis auf der Führungsebene und im Mitgliederkreis führen zu einer wachsenden Verselbständigung des Genossenschaftsunternehmens und nachlassender Mitgliederorientierung , abnehmender Genossenschaftsorientierung der Mitglieder, Identitätsschwund durch zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Mitgliedschaft und Lockerung der Beziehungen zwischen den Mitgliedern.
Damit befindet sich das Leitbild der genossenschaftlichen Rechtsform seit geraumer Zeit auf dem Weg der „Entgenossenschaftlichung“[39] – ein Befund, der nicht zu übersehen ist und bedenklich stimmen muss.
Man fragt sich, wie viele und welche Modifikationen die genossenschaftliche Unternehmensform verträgt und ob dort, wo das Genossenschaftliche in einen Auflösungsprozess geraten ist, Einsicht und Absicht vorhanden sind, diesen Zustand zu ändern, indem einerseits arteigene, als Elemente eines strategischen Differenzierungskonzepts bewährte Wesenselemente gestärkt und andererseits neue Entwicklungen adoptiert werden, die Markt- und Fördererfolg versprechen. Das würde den betreffenden Genossenschaften neben geeigneter Marktgestaltung und betriebswirtschaftlicher Effizienz abverlangen: Hervorhebung alles dessen, was Identität schafft, nämlich u. a. die nicht imitierbaren Mitgliedschaft, zeitgemäße genossenschaftliche Werte und den mitgliederbezogenen Förderanspruch.[40] Aller Voraussicht nach dürfte die „genossenschaftliche Rechtsform (..) nur dann ihre Zukunft haben, wenn (…) vor allem jene ihrer Wurzeln immer wieder freigelegt werden, die für die Rechtsform der Genossenschaft identitätsbegründend sind.“[41] Andernfalls ist ihre Glaubwürdigkeit, ja ihre Existenzberechtigung kaum vorstellbar.
Durch Nähe zum Mitglied Systemvertrauen aufzubauen, den „kulturellen Kern“ zu bewahren und Anziehungskraft zu entwickeln, um nötigenfalls eine Rückbindung an die Mitglieder in Gang zu setzen, sollte im Grunde ein selbstverständliches Anliegen sein. Ohne Mitgliederzentriertheit verlieren die Existenz und die Wirtschaftsbetätigung genossenschaftlicher Unter-nehmen ihren Sinn. Mitglieder, in deren Wahrnehmung die Genossenschaft sie als zentralen Bezugspunkt mehr oder weniger aus den Augen verloren hat, werden sich kaum mit ihr verbunden fühlen oder motiviert sein, sich als Dauerkunde an den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu binden und sich in der Selbstverwaltung zu engagieren.[42] Häufig wird eine Vernachlässigung des konstitutiven Elementes „Mitgliedschaft“ zum Ausgangspunkt für einen umfassenderen Konturverlust.
Quelle: Arbeitsgruppe Genossenschaft & Politik   www.igenos.de
Den vollständige Beitrag sowie die Fußnotenverweise finden Sie hier: http://www.genoleaks.de/index.php/2017/01/07/verfremdung-des-systems-genossenschaft-igenos-arbeitspapier-12017-ag-genossenschaft-politik/
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