Die „neue Wertschätzung“ der Genossenschafts-mitglieder als Geschäftspartner

Oder besser, die geringe Wertschätzung als Geschäftspartner durch die Genossenschaft kann den Mitgliedern auf die Dauer nicht verborgen bleiben. Ihnen wird bewusst, dass sie mit der Mitgliedschaft verbundene „Beiträge“ an die Genossenschaft (Bildung von Geschäftsguthaben, Mitwirkung an der Selbstverwaltung, Übernahme einer Haftpflicht) zu leisten haben, die Nichtmitglieder-Kunden nicht abverlangt werden können. Stehen diesen Lasten keine kompensierende Vorteile mate­rieller oder immaterieller Art gegenüber, wie dies bei ausbleibender Förderdifferenzierung zwi­schen Mitgliedern und Nur-Kunden der Fall ist, fühlen sich Mitglieder zu Recht diskriminiert.[19] Mitgliederbezogene Förderauftragserfüllung wird von den Führungskräften mitunter als Last empfunden und verdrängt. Der Förderauftrag existiert „auf dem Papier“, nämlich in der Satzung, wird allerdings mit der Erklärung unterlaufen, es sei schwierig bis unmöglich, den Förderauftrag zu operationalisieren, d. h. in griffige Handlungsanweisungen umzusetzen.[20] Doch gerade die Konkretisierung des Förderzwecks auf die ermittelten Mitgliederbedürfnisse hin ist nach dem Willen des Gesetzgebers eine vom genossenschaftlichen Management zu leistende Aufgabe. Förderpassives Verhalten einer Genossenschaft wird dadurch erleichtert, dass sich der Zwang, Mitgliederwert zu schaffen, abschwächt, wenn die Genossenschaft auf Nichtmitgliedergeschäfte ausweichen kann.[21]
Fördergeschäftsgleiche Beziehungen größeren Stils zu Drittkunden und ein Verzicht auf Exklusivvorteile für Mitglieder dürften auf die Dauer nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ein Teil der Mitglieder wird den Sinn der Mitgliedschaft in der als Selbsthilfeorganisation gedachten Vereini­gung infrage stellen.[22] Es besteht die Gefahr, dass Mitglieder, die sich von der Genossenschaft vernachlässigt fühlen, ihrerseits die Genossenschaft vernachlässigen.[23] Sie fühlen sich nicht mehr zur aktiven Mitarbeit in der Genossenschaft und zur regelmäßigen Teilnahme am Geschäfts­verkehr mit dem Gemeinschaftsunternehmen verpflichtet und die Genossenschaft wird nur fall­weise zwecks Nutzung günstiger Angebote frequentiert. Ansonsten wenden sich Mitglieder anderen Anbietern zu. Damit wird nicht nur das Mitglied für die Genossenschaft, sondern auch die Genossenschaft zu einem ganz gewöhnlichen, austauschbaren Geschäftspartner. Partielle Abkehr von „Genossenschaftstreue“ kann in einen Verzicht auf jegliche Umsatzbeziehungen zur Genossenschaft (Nichtkunden-Mitglied) übergehen und schließlich mit dem Austritt aus dem Kooperativ enden.
1) Weitreichende Entscheidungsautonomie des Leitungsorgans
Das GenG hat in § 27 Abs. 1 die Zuständigkeit in Geschäftsführungsangelegenheiten den eigen­verantwortlich-unternehmerisch operierenden, durchweg hauptamtlichen Geschäftsleitern übertragen. Diese Stärkung der Leitungskompetenz ist „als Begründung einer Vorstandsallmacht kritisiert worden, die zu einem unvertretbaren Übergewicht des Vorstandes im Machtbereich der eG beigetragen habe.“[24] Ist dem Vorstand nicht bewusst und wird in dessen Handeln nicht erkennbar, dass er die Geschäfte eines Unternehmens der Mitglieder zu führen, diesen zu dienen und sich dabei nachdrücklich an deren Bedürfnissen zu orientieren hat, ist mit Entfernung der Leitung von der Mitgliederbasis und mit nachlassender Berücksichtigung der Mitgliederbelange in Führungsentscheidungen zu rechnen. Dies wiederum dürfte nicht ohne negative Auswirkung auf die Genossenschaftsorientierung der Mitglieder bleiben.
Auf der anderen Seite wird der Einfluss der Trägergruppe auf die Willensbildung im inneren Machtgefüge zurückgedrängt, wenn managementdominierte Genossenschaften von der Gene­ralversammlung zur Vertreterversammlung, mithin von direkter Mitwirkung aller interessierten Mitglieder in der basisdemokratischen Generalversammlung zur mittelbaren oder repräsenta­tiven Demokratie in der Vertreterversammlung übergehen.[25] Der Wechsel zum Vertreterprinzip erfolgt mitunter allzu früh, indem die Vorschrift des § 43a Abs. 1 GenG, wonach bei mehr als 1.500 Mitgliedern die Generalversammlung durch Vertreter ersetzt werden kann, in der Praxis wie eine Muss-Vorschrift gehandhabt wird. Es ist dann kaum auszuschließen, dass aufgrund einer nur unzureichend an das interne Kommunikationsnetz angeschlossenen Basis dem „gewöhn­lichen“ Mitglied Informationen über wichtige Angelegenheiten der Genossenschaft, Förderintentionen des Managements und Effizienz des Handels auf der Funktionärsebene (Vertreter, Auf­sichtsrat) entgehen. Schließlich können unvollkommen informierte Mitglieder getroffene Führungsentscheidungen nur begrenzt beurteilen.
Im Größenwachstum einer Genossenschaft wird der Wechsel zur Vertreterversammlung unver­meidlich und führt zur Ausgrenzung eines Großteils der Mitglieder von der genossenschaft­lichen Willensbildung und Kontrolle[26], mithin zu Demokratieschwund und Schwächung der Selbstverwaltung des gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs. Dies ruft eine passive Einstellung nicht weniger Mitglieder zu ihrer Genossenschaft hervor. Zudem fehlt es häufig an Kontakt zwi­schen den Vertretern und den durch sie vertretenen Mitgliedern. Besonders mit einem frühen Übergang zum Vertreterprinzip wird die Mitgliederdemokratie ohne Not unterlaufen, was in Wider­spruch zu dem steht, was in Leitbildern genossenschaftlicher Verbände als Erfolgsrezept empfohlen wird: Pflege und aktivierende Aufwertung des Mitgliedschaftsgedankens. Verzichtet eine Genossenschaft bei Ablösung der Generalversammlung auf die Schaffung ersatzweiser Kommunikationsgelegenheiten, wird nicht bedacht, dass Einbindung der Mitgliederbasis die Ver­wirklichung von Management-Zielen unterstützen kann. Spätestens dann stellt sich die Frage, ob der Trend zur Verselbständigung der Leitung einer eG zur Beschneidung der Teilhaberechte der Mitglieder, zu deren Entmündigung der Mitglieder, zur Bedeutungslosigkeit der genossenschaft­lichen Demokratie und Zurückdrängung des Ehrenamtes in der Genossenschaft führen muss.[27]
(2)  Der Umgang mit der Akquisitionsplattform „Nichtmitgliedergeschäft“
Ein umfangreicher Leistungsaustausch mit Nichtmitgliederkunden steht in Widerspruch zur Kon­struktion einer Genossenschaft, weil sie dadurch partiell den Charakter einer Erwerbsgesellschaft annimmt und die Mitgliedschaft eine Abwertung erfährt. Dessen ungeachtet existiert das Nichtmitgliedergeschäft fast im gesamten genossenschaftlichen Wirtschaftssektor, und in bestimmten Sparten hat man sich an ein umfangreiches „Fremdgeschäft“ gewöhnt.[28] Zwar wird in der Kommunikation von Genossenschaften nach außen die Mitgliedschaft als Alleinstellungsmerkmal propagiert, doch fehlt es oft am Bemühen, durch aktives Heranführen langjähriger Nur-Kunden an die Trägerschaft dem werbepolitischen Argument für das Nichtmitgliedergeschäft Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Mitunter schotten sich Genossenschaften auch gegen die Aufnahme neuer Mitglieder ab. So bleibt das Nichtmitgliedergeschäft ein Dauerthema und Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Selbst ein ausuferndes Fremdgeschäft wird gewöhnlich damit begründet, dass es für die Gewinnung neuer Mitglieder aus dem Kreis der Nur-Kunden notwendig sei. Bei dauerhaft hohem Anteil der Nichtmitglieder an der Gesamtkundenzahl erscheint diese Absicht allerdings nicht nachvollziehbar. Es scheint, als werde im Nichtmitglieder-Kunden immer weniger ein potenzielles künftiges Mitglied gesehen. Denn wo Kunden- und Mitgliederzahl weit auseinanderklaffen, darf unterstellt werden, dass dieser Zustand nicht mit der Absicht herbeigeführt wurde, die Nur-Kunden binnen absehbarer Zeit dem Mitgliederkreis zuzuführen. Im Übrigen behielte das Nicht­mitgliedergeschäft seine Bedeutung als Instrument zur Werbung neuer Mitglieder auch dann, wenn es einen den Geschäftsverkehr mit Mitgliedern lediglich ergänzenden Charakter aufweisen würde.[29] Das Nichtmitgliedergeschäft ist vielerorts zu einer „tragenden Säule“ der Geschäfts­tätigkeit geworden und hat den Rang eines „normalen“ Geschäftes angenommen.
Damit einher geht ein Marketing, das auf nennenswerte Vorteile für die Mitglieder verzichtet, was in annähernd gleichen Konditionen für Mitglieder- und „Fremdkunden“ zum Ausdruck kommt. Außer einer Dividende, die ohnehin nur Mitgliedern zugutekommen kann, sind zeitweise keine „Anreize“ für Mitglieder-Kunden auszumachen. Durch eine Geschäftspolitik der generellen Kundenorientierung geraten Genossenschaften auf die Entartungsspur, und Mitglieder, die sich mit organisationsfremden Kunden gleichgestellt sehen, fühlen sich falsch behandelt. Bleibt eine wirtschaftliche Vorzugsförderung der Mitglieder primär auf der Hauptleistungsebene aus, ten­diert das Kooperativ zur bloßen „Dividendengenossenschaft“.[30]
Quelle: Arbeitsgruppe Genossenschaft & Politik   www.igenos.de
Den vollständige Beitrag sowie die Fußnotenverweise finden Sie hier: http://www.genoleaks.de/index.php/2017/01/07/verfremdung-des-systems-genossenschaft-igenos-arbeitspapier-12017-ag-genossenschaft-politik/
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